Diebe
Eine Geschichte aus Seehausen am Staffelsee
Es ist ein alter Brauch von jungen Männern, zum ersten Mai einen Maibaum nur mit Muskelkraft aufzustellen. Der Baum muss groß und stark und gut gewachsen sein und es erfordert Teamarbeit, ihn unbeschädigt und in ganzer Länge aus dem Wald zum gewählten Standplatz und dort in die Senkrechte zu bringen. Der Baum ist stets ein Denkmal für gemeinsam vollbrachte Leistung!
Ein alter Brauch ist es aber auch, dass so ein gefällter Maibaum von Burschen eines Nachbarortes gestohlen wird. Sofern er dann heimlich über die Gemeindegrenze transportiert ist, muss er von den überraschten Bewachern gegen Bier und Brotzeit ausgelöst werden oder die Diebe stellen ihn, als Denkmal für Ihre Leistung, legal selbst auf.
Zwischen Seehausen und Murnau gibt es alte Reibereien, die offenbar damit zusammenhängen, dass Seehausen direkt am Staffelsee liegt, reizvoller ist und auch eine größere historische Bedeutung hat. Dies bringt die Murnauer oft dazu, sich besonders deutlich bemerkbar zu machen.
Vor längerer Zeit hatte Murnau einen sehr schönen Baum im Wald gefällt und für den Transport vorbereitet. Bewacht wurde der Baum nicht, da er im Wald versteckt lag und nur mit großem Lärm hätte auf die Straße gebracht werden können. Dieser Lärm hätte sicher einige Leute der Nachbarschaft aufmerksam gemacht, die den Diebstahl dann verhindert hätten. Soweit die Überlegungen der nachdenkenden Murnauer.
Sie hatten jedoch nicht bedacht, dass der Baum nahe des Staffelsees lag und der gesamte See zum Gemeindegebiet von Seehausen gehört. Seehauser Burschen fuhren in der Nacht zum 1. Mai mit Schiffen leise zum Wald, zogen den Baum leise ins Wasser und fuhren mit ihm im Schlepptau nach Seehausen. Der Baum wurde dann (bei strömendem Regen) aufgestellt und erfreute bereits um 9 Uhr die Seehauser Bevölkerung.
Um diese Zeit zogen die jungen Männer aus Murnau mit Blasmusik und festlich geschmücktem Baumwagen in den Wald, um ihren Baum abzuholen. Der Ärger war groß, als die Wahrheit erkannt wurde! Um nicht als blamierte Schlafmützen zu gelten, weil die Bewachung fehlte, wurde schnell ein anderer Baum gefällt und nach Murnau gebracht. Dort wurde er wie geplant, im Beisein der Honoratioren, aufgestellt.
Durch freundliche Menschen aus Seehausen erfuhren alle Murnauer bald, dass ihr Baum nur zweite Wahl ist, der schönere Baum jedoch von Murnauern "gestiftet" in Seehausen steht.
Das Leben geht weiter und auch diese Geschichten finden noch kein Ende!
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